Der Bienenschwarm
© STEPHAN HAUSER
Über ein spezielles Naturereignis, vor dem niemand
Angst haben muss.
Alljaehrlich vollzieht sich im Zeitraum von Ende April bis in den Juni
hinein ein Naturschauspiel, das besonders eindruecklich ist: das Schwaermen eines Bienenvolkes.
Auch wenn die Bienen scheinbar in wilder Angriffstimmung herumschwirren, sind Schwarmbienen
in der Regel gutmuetig und wenig stechlustig, sofern man nicht in der Schwarmtraube
herumstochert.
Das Schwaermen gehoert zu den natuerlichsten Vorgaengen in einem Bienenvolk und dient
insbesondere der Volksvermehrung und -Verjuengung. Nicht jedes Bienenvolk schwaermt
jedoch jedes Jahr. Ob es im Fruehling den Schwarmtrieb bis zum eigentlichen Schwaermen
entwickelt, haengt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab: Alter der Koenigin (Weisel),
Platzverhaeltnisse fuer das Bienenvolk, Futterangebot in der Natur, Wetter, Eingriffe
des Imkers, um nur die wichtigsten zu nennen.
Ein Volk, das schwaermen wird, bereitet sich lange auf das Ereignis vor. Erwacht der
Schwarmtrieb, beginnen die Arbeiterinnen, junge Koeniginnen nachzuziehen, indem sie
fuer normale Arbeiterinnenbrut spezielle Weiselzellen bauen und die darin schwimmenden
Larven mit besonderem Futtersaft (Gelée royale) ernaehren. Somit wachsen in
einem Volk mehrere Koeniginnen heran, was sich nicht damit vertraegt, dass es in einem
Bienenvolk mit ganz wenigen Ausnahmen nur fuer eine Chefin Platz hat.
Im Zeitpunkt des Schluepfens der ersten jungen und noch unbegatteten Koenigin muss
im Volk etwas geschehen, damit die natuerliche Ordnung wieder hergestellt wird. Sofern
nun die aeusseren Bedingungen stimmen, verlaesst die alte, meist zwei- bis dreijaehrige
Stockmutter mitsamt einem ansehnlichen Teil des Volkes die Behausung - es kommt zum
Schwaermen. Der abschwaermende Teil des Volkes hat sich fuer die kommenden Tage mit
Honig bestens verproviantiert, damit es bis zum Einzug in die neue Behausung nicht
den Hungertod erleiden muss.
In der Regel zieht ein Schwarm im spaeten Vormittag aus der bisherigen Behausung aus.
Durch die Masse der aus dem Flugloch herausstuerzenden Bienen waehnt sich der Betrachter
in einem mittleren Orkan. Dieses lose Gewimmel von herumpfeilenden Bienen folgt der
Koenigin, bis diese an einem Busch oder Baum oder sonstwo Halt macht. Dies kann einige
wenige Meter vom Bienenhaus oder aber einige Kilometer von der alten Behausung entfernt
der Fall sein. Im Verlaufe der naechsten Stunden bildet sich dann die eigentliche Schwarmtraube,
von der sich bald nur noch wenige Bienen fortbewegen. Es sind die Spaeherbienen, die
fuer das Volk eine neue Behausung suchen und das Volk an den neuen Standort leiten.
Dies erklaert auch, weshalb ein Schwarm, sofern er nicht von einem Imker eingefangen
werden kann, den voruebergehenden Standort in der Regel am folgenden Tag bereits wieder
verlassen hat.
Die Schwarmtraube, die ein bis drei Kilogramm schwer sein kann, kann gefahrlos aus
wenigen Metern Distanz beobachtet werden, wenn man sich ruhig naehert und allfaellige
neugierige Bienen nicht mit ruckartigen Bewegungen zu verscheuchen versucht. Die Bienen
verhalten sich dank des mitgenommenen Proviants in der Regel sehr sanftmuetig. Keinesfalls
darf aber in der Schwarmtraube herumgestochert werden, denn dies kann zu schmerzhaften
Stichen fuehren. Das Einfangen des Schwarmes sollte man ohnehin dem erfahrenen und
dafuer speziell ausgeruesteten Imker ueberlassen.
Inzwischen entscheidet sich im abgeschwaermten Volk, ob es zu weiteren Schwaermen kommt.
Die erste Weisel und moeglicherweise noch weitere schluepfende Jungkoeniginnen verlassen
ihrerseits mit je einem Volksteil die Behausung; es kommt zu sogenannten Nachschwaermen.
Falls das Restvolk hingegen nicht mehr schwaermen will, sorgt die erste geschluepfte
Koenigin dafuer, dass ihre Rivalinnen auf der Strecke bleiben. Auf akustische Weise
lokalisiert die Koenigin ihre noch in den Zellen harrenden Nebenbuhlerinnen und sticht
diese mit ihrem Giftstachel zu Tode. Erst jetzt begibt sich die Jungkoenigin auf den
riskanten Hochzeitsflug, auf dem sie von Drohnen begattet wird. Falls sie begattet
nach Hause zurueckfindet, beginnt sie nach einiger Zeit mit der Eiablage, womit sich
die Volksverjuengung auf natuerliche Weise vollzogen hat. In zwei bis drei Jahren sorgt
die Koenigin dann vielleicht ihrerseits wieder dafuer, dass ein Naturschauspiel besonderer
Art zu verfolgen ist, wenn sie mit Tausenden von Bienen schwaermt. |